Norwegen

Teil 2


Reisebericht
Bildergalerie

25.07.2017 - 11.08.2017  Von Holm über Horn, Vennesund, Forvik, Tjøtta,

Levang, Nesna, Kilboghamn, Jektvik, Torøy, Saltstraumen, Skarberget, Lødingen,

Henningsvær, Å, Tromsø, Hammerfest, Honnigsvåg, Nordkap, Havøysund, Gamvik,

Slettnes, Vadsø, Vardø, Hamningberg nach Karasjok


Wie ein schmales Band erstreckt sich Norwegen von Trondheim aus nach Norden. Wer von hier zum Nordkap will, muss der E6 folgen – oder nimmt wie wir die Strecke via Fosen und den
Kystriksveien nordwärts. Die Fahrt dauert einiges länger, lockt aber mit einer grandiosen Landschaft zwischen Fjord und Fjell. Auf einer Länge von etwa 650 km schlängelt sich der Kystriksveien von Steinkjer nach Bodø entlang der Küste. Einer der schönsten Routen Norwegens, die wir in den nächsten Tagen befahren werden. Sechs Fähren verbinden den Weg, an dessen Rande kleine malerische Siedlungen mit weniger als hundert Einwohnern, eine reichhaltige Natur und weisse Sandstrände zu finden sind. Der nördliche Teil des Weges bildet die Landschaftsroute Helgelandskysten. Am Fähranleger von Holm lösen wir das Ticket für die Überfahrt auf die nächste Insel. Ein Prozedere, das sich in den folgenden Tagen mehrmals wiederholen wird. Denn der Kystriksveien verläuft nicht nur über Asphalt, sondern immer wieder über Wasser, was die Strecke zusätzlich reizvoll macht. Am anderen Ufer in Vennesund pfeift der Wind zwischen zwei Inseln hindurch und lässt die norwegische Flagge neben einem Bootsanleger waagerecht stehen. Ein Hinweis auf das Wetter, das sich an diesem Küstenabschnitt
nicht immer von seiner freundlichen Seite zeigt. Schliesslich ist man dem offenen Atlantik ausgesetzt. Etwas geschützt hinter ein paar Inseln liegt das Küstenstädtchen Brønnøysund. Nur wenige Kilometer führt die RV17 über die Halbinsel Sømna, dann kommt der nächste Fährstopp, der über den Velfjord zu einem nahezu unbewohnten Küstenabschnitt führt. Die Berge bilden ein über 1000 Meter hohes Bollwerk,  über deren Gipfeln sich Wolken kräuseln. Viel Platz zum Wohnen gibt es hier
nicht, dafür am nächsten Fähranleger in Forvik die nördlichste Kaffeerösterei der Welt. Der Duft frisch gebrannter Bohnen liegt in der Luft, und gesellt sich zu dem nach Waffeln. An einigen bewohnten Inseln vorbei tuckert die Fähre hinüber nach Tjøtta. Ein eigenartiges Fleckchen Natur erwartet uns. Ein Gewirr aus Inseln, wo Meer und Land ineinander überzugehen scheinen. Doch dann ragen in der Ferne die „Sju Søstre“, die „Sieben Schwestern“, auf. Eine markante Gebirgskette, die aus dem Nichts bis auf 1100 Meter über dem Meer aufragt. Sandnessjön ist das lokale Zentrum der Region. Hier kaufen wir Reiseproviant resp. andere notwendige Dinge für die nächsten Tage ein und bunkern genügend Wasser damit wir abseits von Campingplätzen übernachten und duschen können. Über die alles überragende Helgelandsbrücke führt der Kystriksveien weiter nach Norden – natürlich zur nächsten Fährfahrt. Einige Kilometer kurven wir am Sjonafjord entlang durch kleine Fischerdörfer, dann jedoch wird eine nahezu unwirkliche
Gebirgslandschaft passiert. Nackter, grauer Fels bestimmt die Szenerie. Man braucht nur wenig Phantasie, um zu erkennen, wie die Gletscher dereinst alles weghobelten, was sich ihnen in den Weg stellte. Die verschneiten Bergspitzen tun ein Übriges dazu, um die raue Schönheit der Landschaft zu betonen. Spätestens jetzt wird klar, dass man sich dem Norden Norwegens nähert. In Kilboghamn wartet die nächste Fährpassage auf uns. Wobei das Warten jetzt eher aufseiten der Passagiere ist, denn sie müssen sich in Geduld üben. Je nach Verkehrsaufkommen passen nicht alle Fahrzeuge auf die relativ kleinen Fähren und so kann es passieren, dass man zurückgelassen wird und zwei Stunden auf das nächste Schiff warten muss. Während die Touristen unruhig umhertrippeln, räkeln sich die Einheimischen in der Sonne. „Damit muss man immer einmal rechnen“, sagt ein Mann aus Bodø und schlürft genüsslich seinen Kaffee. Nordische Gelassenheit trifft hier auf mitteleuropäische Ungeduld. Und der Blick in die Gesichter der Menschen zeigt, wer in dieser Situation das bessere Rezept gefunden hat. Schliesslich taucht hinter einem Berg doch eines der mit schwarzer und weisser Farbe angemalten Schiffe auf. Motoren werden gestartet, bevor zig Fahrzeuge im Bauch des Schiffes verschwinden. Spätestens jetzt erwärmt die Abendsonne die Gemüter, zumal es nun bis Glomfjord durch eine
beeindruckende Landschaft mit türkisfarbenem Wasser und schneebedeckten schroffen Gipfeln geht. Die Menschen nutzen hier schon lange Zeit die billige Wasserkraft. Das Schmelzwasser des Svartisen-Gletschers treibt schon gut ein Jahrhundert lang die Turbinen der Kraftwerke an. Imposant ist bis heute das Wasserkraftwerk Fykan – ein monumentales Gebäude im neoromanischen Stil. Schlussendlich erreichen wir den letzten Höhepunkt der Route, den  Saltstraumen. Durch einen 2,5 Kilometer langen und
etwa 150 Meter breiten Sund strömen im Wechsel der Gezeiten fast 400 Millionen Kubikmeter Wasser in die Meerenge hinein und wieder heraus. Der Strom erreicht dabei Geschwindigkeiten von bis zu 40 Kilometern in der Stunde, gegen den die Schiffe kräftig ankämpfen müssen. Angler mögen diese Engstelle:, „ich war hier schon oft erfolgreich“, sagt ein Petrijünger und zeigt auf einen Plastikeimer, in dem schon etliche Fische liegen. Und schon zappelt der nächste gewaltige Lachs an der Angel. Gekonnt zieht er den Fisch an Land und nett wie die Norweger sind, will er uns den „Salmon“ schenken. Wir lehnen jedoch dankend ab, denn das Riesenteil passt nicht in unseren sonst schon randvollen Kühlschrank und für eine einzelne Mahlzeit ist der Fisch eindeutig zu mächtig – er würde locker eine Grossfamilie ernähren. Nach vielen Tagen in einer weitgehend einsamen Küstenlandschaft stehen wir kurz vor der Inselgruppe der Lofoten. Hier müssen wir uns entscheiden, benutzen wir die Fähre von Bodø nach Sørvågen (ca. 4 Std.) oder fahren wir auf dem Landweg auf die Lofoten. Wir entscheiden uns für ein Mittelding. Wir nehmen die kurze Fährverbindung zwischen Skarberget und Lødingen. Das hat den Vorteil, dass wir die Lofoten einmal von West nach Ost und anschliessend in umgekehrter Richtung erleben werden. Je nach Sonnenstand sieht dann das Landschaftsbild völlig anders aus. Unser erster Übernachtungsplatz auf den Lofoten ist nahe der Anlegestelle der Fähre, direkt am Festfjorden. Das nicht ganz ruhige Plätzchen an der Hauptverkehrsader hat aber einiges zu bieten. So um Mitternacht rumpelt und staubt es auf dem Vorplatz. Ein Wohnmobil mit finnischen Kennzeichen rast im Stile eines Kimi Raikkönen auf unseren unasphaltierten Stellplatz. Mit blockierenden Rädern bleibt das Gefährt im letzten Moment kurz dem Abgrund zum Fjord stehen – nochmals Glück gehabt. Wenn man den  Fahrstil dieser Volksgruppe isoliert betrachtet ist das Sprichwort: „die spinnen, die Finnen“, nicht ganz unbegründet. Wir haben trotzt den „Turbulenzen“ gut geschlafen und fahren am nächsten Morgen
auf der E10 Richtung Westen. Die 170 Kilometer lange Inselkette der Lofoten zählt mit ihren bis zu 1200 m hohen Gipfeln und idyllischen Fischerorten zu den faszinierendsten Zielen der norwegischen Küste. Wir erblicken die imposante gezackte Gebirgskette der Lofotenwand schon von weitem. Am Fuss der Berge liegen Wiesen, Sandstrände, felsige Buchten, Häfen und bunte Dörfer, Schären und kleine Inseln. Wir haben Wetterglück und die Sonne lacht vom fast wolkenlos blauen Himmel. Die fünf grössten
Inseln sind mit einem System von Tunneln und Brücken miteinander verbunden. Auf einer schmalen, kurvenreichen Nebenstrasse fahren wir nach Henningsvær. Das bekannte Fischerdorf, auch „Venedig des Nordens" genannt, ist im Winter Zentrum für die grösste Dorschfischerei weltweit. Über einen Holzbohlenweg schlendern wir am Hafen entlang. Eine bunte Mischung aus Wohnhäusern, Geschäften, Werkstätten, Cafés und Hotels erwartet uns. Henningsvær hat sein ursprüngliches Milieu mit blankgescheuerten Seehäusern und dichtstehenden Fischerhütten bewahrt. Unser heutiger Stellplatz liegt weit ab der Hauptachse am Vestvagøya. Ganz alleine übernachten wir an einer malerischen Bucht. Als wir am anderen Morgen erwachen hängt dichter Nebel über dem Meer. Von den fantastischen Bergketten ist nichts mehr zu sehen. So schnell ändert sich hier das Wetter. Gestern noch eitel Sonnenschein, heute nasskaltes und trübes Grau in Grau. Wer in den Norden reist darf sich von solchen Wettereskapaden nicht beeindrucken lassen. So fahren wir zu einem der ältesten und best erhaltenen Fischerdörfer Norwegens, dem Nusfjord. In der kleinen Siedlung stehen ein alter Kolonialwarenladen, eine
Tranfabrik, ein Sägewerk und eine Schmiede. Im Dorf gibt es auch ein Restaurant und Fischerhütten zum Übernachten. Geschäftstüchtig wie die Norweger sind, haben sie das ganze Dorf zum Museum erklärt und kassieren dafür eine Eintrittsgebühr. Nur wenige Kilometer weiter auf der E10 gelangen wir zum Dörfchen Reine. Bei gutem Wetter bietet der Ort, dessen rote Robuer sich am runden Sees Reinevaten vor majestätischer Bergkulisse gruppieren, ein prächtiges Fotomotiv. Heute ist aber alles in dichte
Wolken gehüllt und es braucht viel Fantasie den ausschweifenden Beschreibungen in  Reiseführern zu folgen. Am dritten Tag auf den Lofoten erreichen wir das östlichste Städtchen der Inselgruppe. Die Namensgeber des Ortes haben sich wohl gesagt: „in der Kürze liegt die Würze“ und nannten ihn ganz einfach „Å“. In Å, das ebenfalls zum grossen Teil aus hübschen Robuer besteht, besuchen wir das Norsk Fiskebærs Museum. Das Freilichtmuseum versetzt den Besucher in das Alltagsleben vor 100 Jahren während des saisonalen Lofotenfischfangs. Leider, wie oftmals in Norwegen, sind die Ausstellungen und Schauobjekte wenig informativ und schlecht gepflegt. Es beschleicht uns auch hier der Gedanke, dass der Besucher des schnöden Mammons wegen abgezockt wird. Wiedereinmal tröstet uns die prächtige Natur über menschliche Unzulänglichkeiten hinweg, denn auf der Rückreise klart das Wetter auf und wir erleben die prächtige Landschaft der Lofoten im Sonntagsgewand. Über Tjeldsund führt uns der Weg nach
Tromsø, die „Pforte zum Eismeer“. Von hier starten viele Expeditionen in die Arktis. Am Fusse der Tromsøbura erhebt sich der schneeweisse Bau der Tromsdalen Kirke, die wegen ihrer Architektur mit gezacktem, bis zum Boden reichenden Dach, auch Eismeerkathedrale genannt wird. Blickfang im Innern ist das 23 m hohe Glasmosaik, eines der grössten Glasfenster Europas. Einen reizvollen Kontrast hierzu bilden die in der Sjøgate und Skippergate stehenden Holzhäuser aus dem 19. Jahrhundert, als Tromsøs Bewohner von Robben und Eisbärenjagt lebten. Im ebenfalls nur bedingt sehenswerten Polaria Aquarium informieren wir uns über die nordische Fauna und Flora. Den Betreibern des Aquariums müssen wir zugutehalten, dass die Institution als Ausbildungszentrum auf wissenschaftlicher Basis geführt wird und nicht in erster Linie als Unterhaltung seiner Besucher. Leider sind wir ein paar Wochen zu früh in dieser nördlichen Region, denn Tromsø liegt direkt unter dem Nordlicht-Oval. Das bedeutet, die Stadt ist einer der Orte auf der Welt mit den  meisten Nordlicht-Erscheinungen. Sogar mitten in der Stadt sind die  grünlich schimmernden Lichter häufig zu sehen. Im abwechslungsreichen Wettermix, Sonne, Regen, Nebel und heftiger Wind fahren wir Richtung Alta und dann weiter nach Hammerfest. Die
Reise führt uns durch die fast baumlose Tundra der Finnmark mit ausgedehnten Sumpfgebieten. Auf einem Höhenzug entdeckt Martha ein erstes, einzelnes Rentier – wo ein Rentier zu sehen ist, gibt‘s garantiert noch mehrere. Ein paar hundert Meter weiter stehen tatsächlich noch zwei prächtige Tiere unweit der Strasse. Und bald schon sehen wir wieder Rentiere. Mitten auf der Fahrbahn, vor Strassentunnels und überall dort wo man sie eigentlich gar nicht erwartet. Es ist beim Fahren höchste Aufmerksamkeit geboten. Uns ist nun auch klar, warum die Norweger an ihren Fahrzeugen nebst der Flutlichtbeleuchtung auch eine Bull Bar montieren. Zusammenstösse mit Wildtieren können für Fahrzeug und Insassen fatale folgen haben. Nach diversen Schreckerlebnissen mit umherstreunenden Rentieren erreichen wir Hammerfest, das auf der Insel Kvaløy liegt. Die 1856 errichtete Meridiansäule mit aufgesetzter Erdkugel aus Bronze ist das Wahrzeichen der Stadt. Sie erinnert an die erste genaue Vermessung des Erdumfangs, die Mitte des 19. Jahrhunderts gemeinsam von Norwegen, Schweden und Russland durchgeführt wurde. Touristische Anziehungskraft besitzt Hammerfest vor allem als
„nördlichste Stadt der Welt“. Der langen Winterzeit, in der sich die Sonne nicht blicken lässt, verdankt die Stadt seine 1891 installierte elektrische Strassenbeleuchtung, die erste in Europa. Berühmt ist Hammerfest auch durch seinen königlichen Eisbärenclub, der im Rathaus residiert. Gegen einen kleinen Obolus kann man Mitglied werden und wird mit einer feierlichen Führung durch die Sammlung zur Geschichte des Tierfangs in der Arktis geehrt. Architektonischer Blickfang ist die Hammerfest Kirke,
deren einfache Gestalt an die regionaltypischen Trockengestelle für Fische erinnert. Die Innenausstattung mit Mosaiken, reliefierter Kanzel und grossem Glasfensterbild ist dagegen sehr opulent. Auf der Weiterfahrt Richtung Nordkap erreichen wir den Ort Honnigsvåg – was heisst hier Ort? Seit Erhalt der Stadtrechte ist nämlich Honnigsvåg die nördlichste Stadt der Welt und macht damit Hammerfest den Titel streitig. Am Quai der Kleinstadt, wie sie jetzt angesprochen werden will, liegt das grosse Kreuzfahrtschiff der AIDA vor Anker und ein weiteres der Hurtigruten schippert gerade in den Hafen – ein majestätischer Anblick. Von hier werden die Passagiere beider Schiffe mit Bussen zum Nordkap chauffiert. Uns trägt „Gecko“ weiter nordwärts. Wir fahren durch Tunnels an der Küste entlang und über sanfte grüne Bergrücken auf denen Rentiere weiden. Dann endlich ist es geschafft – wir sind am legendären Nordkap angelangt. Zu allem Überfluss spielt auch das Wetter mit. Es ist kalt aber die Sonne sticht
schon ab und zu durch die Wolkendecke, die Nebel verziehen sich und wir dürfen das Kap bei optimalen Bedingungen erleben, natürlich erst nachdem wir norwegentypisch Eintritt bezahlt haben. Entgegen unseren Befürchtungen ist der nördlichste Punkt des europäischen Festlandes nicht von Touristen überflutet und wir teilen uns den Platz beim Symbol des Kaps, dem schmiedeeisernen Globus, nur mit wenigen Menschen – ein erhebender Augenblick. Nach einer guten Stunde im eisigen Wind ziehen wir
uns in die riesige Nordlandhalle zurück. Sie ist geradezu perfekt ausgestattet: mit Restaurants, eines davon mit grossem Panoramafenster, Souvenirladen und einem Postamt, wo Urlauber den begehrten Nordkapstempel erhalten. Im hauseigenen Kino sehen wir uns den beeindruckenden Film über die vier Jahreszeit am Kap an. Danach setzen wir uns in den Camper und fahren offroadmässig vom Parkplatz  auf die Steilklippe vis-à-vis vom Denkmal. Hier stehen wir ganz alleine und geniessen während
mehreren Stunden den Blick übers Kap und das stürmische Meer, wo ab und zu ein Kreuzfahrtschiff zu sehen ist. Nachdem wir uns so richtig häuslich eingerichtet haben klopft es unvermittelt an die Tür. Eine höflich aber bestimmt auftretende Mitarbeiterin des Nordkapkomplexes fordert uns auf, diesen Platz unverzüglich zu verlassen. Es sei strengstens untersagt, abseits der ausgeschilderten Parkplätze zu stehen. Also wird's nichts mit dem Übernachtungsplatz gegenüber dem berühmten Symbol des Nordens. Wir fahren wie „befohlen“ über Stock und Stein zurück auf den Parkplatz und gesellen uns regelkonform zu den anderen Wohnmobilen. Es wird trotzdem ein schöner und unvergesslicher Abend. Mein Schatz hat uns was leckeres gekocht und kurz vor Mitternacht gehen wir bei Eiseskälte nochmals zum eisernen Globus hinaus und erleben mit anderen Besuchern zusammen einen fantastischen Sonnenuntergang – was haben wir für ein Glück! Weil uns Nordnorwegen so in seinen Bann gezogen hat wollen wir noch etwas in der Region verweilen. Es gibt hier oben noch so viele Orte, abseits des Tourismus, wo absolut sehenswert sind. So geht die Reise auf einer wenig befahrenen Nebenstrasse nach Havøysund. Wir finden die schönsten und einsamsten Übernachtungsplätze und blicken vom Arctic View Restaurant bei der Stadt am Nordmeer bis zum Rand des arktischen Eisschildes. Beim Rückweg auf der E69 nehmen wir einen Abzweiger und tauchen ins Reich der Trolle ein. Diese Fabelwesen müssen wie Graf Dracula jeden Sonnenstrahl fürchten, denn durch ihn werden sie unweigerlich in Stein verwandelt. Wir besuchen den tragischen Ort dieses Geschehens in
Trollholmen. Ein kurzer Wanderweg durch eine prächtige Landschaft führt zu den Traumgestalten der norwegischen Kinderzimmer. Vier Trolle wurden hier von Sonnenstrahlen erfasst und in bröseliges Dolomitgestein verwandelt und blicken bewegungslos aufs weite Meer hinaus. Noch ist unser Hunger nach dem Norden ungestillt. Also unternehmen wir einen weiteren Trip an die Nordspitze des europäischen Festlandes und fahren nach Gamvik. Hübsche bunte Häuschen an der einzigen Strasse, ein kleiner
Bootshafen, auf den Hügeln und Stockfischgestelle erwarten uns. Hoch oben steht die grosse weisse Dorfkirche, die leider geschlossen ist und ich nicht wie gehofft Busse tun kann. Also fahren wir unverrichteter Dinge weiter auf einer Schotterstrasse durch felsiges Gelände nach Slettnes. Der Wege ist beim Leuchtturm „Verdens nordligste Fastlandsfyr“, der auf dem gleichen Breitengrad liegt wie die Nordspitze von Alaska, zu Ende. Hier, liebe Nordkapfahrer, ist wirklich der nördlichste Punkt vom europäischen Festland. Das Nordkap ist durch einen Tunnel am Meeresgrund mit den Festland verbunden; ergo ist es eine Insel und gehört nicht zum Festland. Sei's drum, eigentlich spielt das ja auch gar keine Rolle. Vom Leuchtturm aus führen  schöne Wanderungen der Küste entlang in ein Vogelschutzgebiet, wo wir aus einer von Wind und Wetter geschützten Hütte Seevögel beobachten. Überrascht sind wir von der Pflanzenvielfalt in dieser rauen Klimaregion. In der kurzen Sommerzeit lässt die Natur ihr ganzes Können aufblitzen. Immer noch lässt uns der Zauber des Nordens nicht los und so fahren wir auf die Varangerhalvøya. Von hier wären es nur noch rund 300 km zum russischen Murmansk. Es ist Güterhafen und Militärbasis der Russischen Seekriegsflotte. Aber diese Destination ist nichts für Kurzentschlossene. Die Visabestimmungen von Russland sind kompliziert und rigide. Deshalb bleiben wir in Norwegen und fahren nach Nesseby. Mitten im Naturreservat steht eine weisse Kirche in einer farbenprächtigen Feldblumenwiese. Ein schönes Fotomotiv sind die schmiedeeisernen Grabkreuze aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die völlig schief in der Landschaft stehen. Wir unternehmen eine kleine Wanderung zum Fugleberg, wo man in der Brutzeit den Seevögeln direkt ins Nest schauen kann. Leider sind wir etwas spät dran und die Jungmannschaft ist längst ausgeflogen – macht nichts, wir haben uns wenigstens bewegt. Der nächste Ort auf der Reiseroute ist Vadsø. Von hier aus sind in den 1920er Jahren Umberto Nobile und Roland Amundsen mit ihren Luftschiffen zu  Nordpol-Expeditionen gestartet. Der Mast am dem die Luftgeräte befestigt waren steht heute noch. Erst
wenn man vor ihm steht wird einem bewusst, wie riesig die Luftschiffe gewesen sein müssen. An der Küste Entlang fahren wir Richtung Ekkerøy und passieren dabei kilometerlange Sandstrände. Vor der Eismeerküste auf einer Insel in der Barentsee liegt die Festungsstadt Vardø, die wir durch den knapp 3 km langen Unterwassertunnel erreichen. Hauptattraktion ist Vardøhus, die nördlichste Festung der Welt. Sie wurde im 14. Jahrhundert als Bollwerk gegen die Russen errichtet, heute aber nur noch Museum ist. Von hier aus ist es nur noch eine kurze Strecke bis nach Hamningberg. Aber diese letzten Kilometer sind sensationell. Die Landschaft ändert sich schlagartig. Schroffe Felsen so spitz wie Scherenschnitte flankieren die Strasse. Unter Druck und Hitze wurden ehemals horizontal gelagerte Schichten um 90 Grad gedreht und ragen nun wie Haifischzähne steil in die Höhe. Zwischen ihnen wirken die kleinen Ferienhäuser wie Behausungen von Hexen, die um sich herum alles Lebendige zu Stein verwandelt haben. Im weiteren Verlauf der Strasse gelangen wir zu einer halbkreisförmigen Sandbucht, in die der Wind
gewaltige Wellen hineintreibt. Immer höher und höher werden die Felsklippen, türmen sich zu Bergen auf, durch die sich unser Strässchen wie ein schmales Würmchen windet. Durch Geröllschichten, die in Terrassen angeordnet zur Küste absinken, rollen wir auf das letzte Örtchen der Strasse zu, das Fischerdorf Hamningberg. Auf einer Schotterstrasse geht es zu einer herrlichen Meeresbucht, die umgeben ist von  saftigem Weideland. Wir stellen „Gecko“ mitten im Grünen mit Blick auf's Meer ab und
erleben einen prächtigen Sonnenuntergang über der Barentsee. Um das Bild perfekt zu machen, streift eine Herde Rentiere äsend über die Hügel. Martha und ich sind uns einig, dass dies hier der ultimative Stellplatz ist. Wir wollen aber Norwegen nicht verlassen, ohne eine typische Samensiedlung gesehen zu haben. Von jetzt an geht die Fahrt südwärts und wir erreichen schon bald Karasjok, das Tor zu Lappland. Es gilt als Hauptstadt der Samen und eines ihrer wichtigsten kulturellen Zentren mit eigener Zeitung sowie Rundfunk- und Fernsehprogramm. Der Themenpark Sámpi soll Touristen Kultur und Lebensweise dieser Volksgruppe näher bringen. Auf dem Freigelände, das auch zahme Rentiere bevölkern, besichtigen wir einen Sommer- und Winter-Wohnplatz von traditionellen Samen. Leider müssen wir auch diesmal resigniert feststellen, das meiste was wir zu sehen bekommen sind schlecht zusammengezimmerte Gebäude und miese Laiendarsteller, die nichts oder nur wenig mit der richtigen Samenkultur zu tun haben. Es beschleicht uns abermals das ungute Gefühl, dass es sich hierbei um reine Abzocke handelt. Echt hingegen ist ein avantgardistisches Gebäude, das
ausserhalb des Themanparks steht und auf moderne Art einem Samenzelt nachempfunden ist. Hier tagt Sametinget, das norwegische Samenparlament mit 39 Abgeordneten. Es wurde 1998 ins Leben gerufen, damit die Belange der Minderheiten bei Regierung und Behörden Gehör finden. Eigentlich wollten wir bei unserer Rückreise durch Skandinavien auch Finnland bereisen. Da wir aber so viel Zeit im fantastischen Norwegen verbracht haben, werden wir uns das Land der tausend Seen mit einem kommenden Trip über Estland, Lettland und Litauen genauer ansehen. Einen kurzen Abstecher nach Finnland gönnen wir uns trotzdem. Bei Enontekíö fahren wir über die Grenze und durchqueren den Ounas-Pallastunturi Nationalpark. Alle unsere Klischeevorstellungen von Finnland werden erfüllt. Wer im Sommer durch die finnische Landschaft fährt, bemerkt schnell, dass zwei Farben das Landschaftsbild dominieren: grün und blau. Die Waldlandschaft ist mit Wasserflächen gespickt und umgekehrt. Um ehrlich zu sein, die Bezeichnung „Land der tausend Seen“ ist eine masslose Untertreibung, es gibt insgesamt sage und schreib 188'000 Seen in Finnland. Wir freuen uns schon auf einen längeren Aufenthalt in diesem grössten Teils naturbelassenen Land. Doch das ist Zukunftsmusik – zunächst fahren wir über die Grenze nach Schweden und werden step by step im Osten des Landes südwärts reisen. Mit viel Wehmut haben wir das heissgeliebte Norwegen verlassen – wer weiss, vielleicht ist die Liebe gross genug, dass wir  uns irgendwann einmal wieder sehen.