Norwegen

Teil 1


Reisebericht
Bildergalerie

29.06.2017 - 24.07.2017  Von Oslo über Kongsberg, Heddal, Telemark, Kragerø,

Risør, Arendal, Mandal, Lindesnes, Lysefjord, Bergen, Nørheimsund, Eidfjord, Geilo,

Flåm, Geiranger, Trollstigen, Ålesund, Molde, Kristiansund nach Værnes


In den nächsten Wochen bereisen wir Norwegen, die faszinierende Region der Trolle, Fjorde und der Mittsommernacht. Das Land der gewaltigen Gletscher, Gipfel und Hochebenen, der reinen Luft, dem sauberen Wasser und der überwältigenden Natur. Aufgrund des mässigenden Einflusses des Nordatlantischen Stromes und der Passatwinde, hat Norwegen für seine Breitenlage ein erstaunlich mildes Klima. Selbst im Winter sind die Küstengewässer Norwegens eisfrei. Ein paar Dinge die Norwegen auszeichnen wollen wir dem interessierten Leser nicht vorenthalten. Der Laerdaltunnel ist mit einer Länge von 24,5 km der längste Strassentunnel der Welt. In Norwegen geniesst man viele persönliche Freiheiten, die als „Jedermannsrecht“ bezeichnet werden. Zelten und Campieren am Fjord, Beeren und Pilze sammeln, Grillen über offenem Feuer und mit dem Boot über Seen und Flüsse schippern ist überall erlaubt wo nicht Privatgrund verletzt wird. Der Polarkreis teilt Norwegen in zwei Hälften. Nördlich des Polarkreises versinkt die Sonne zur Zeit der Sommersonnenwende nicht hinter dem Horizont und spendet 24 Stunden lang als Mitternachtssonne Licht. Nördlich dieses Polarkreises ist die ideale Region für Nordlichtbeobachtungen. In klaren Winternächten wabern blaue, grüne und rote Lichtsäulen über den stockfinsteren Himmel und tauchen die Umgebung in ein geheimnisvolles Licht. Das Land der tausenden Seen und romantischen Fjorden hat noch mehr Superlative zu bieten. Der 50 km² grosse Hornindalsvatnet im Westen Norwegens ist mit 514 m der tiefste See Europas. Auf der zu Norwegen gehörenden Inselgruppe Spitzbergen leben rund 3'000 Eisbären in freier Wildbahn. Norwegen gehört zu den reichsten Ländern der Welt und ist das wohlhabendste Land Europas. Der Grund sind riesige Ölvorkommen vor der norwegischen Küste, die das skandinavische Land zum drittgrössten Ölexporteur der Welt machen. Das Bruttosozialprodukt pro Einwohner und Jahr liegt in Norwegen etwa doppelt so hoch wie in der Schweiz. Es verwundert deshalb nicht, dass nach einer Untersuchung der UNO die Norweger zu den glücklichsten Erdenbewohnern zählen. Also hier in diesem Land muss man sich einfach wohl fühlen – wären da nicht die fast schon obszönen Preise, die einen des Öfteren leer schlucken lassen. Oslo z.B. wurde in der Vergangenheit mehrfach zur teuersten Stadt der Welt gekürt. Lebensmittel kosten drei- bis viermal so viel wie in der Schweiz und ein Abendessen für zwei Personen in einem durchschnittlichen Restaurant schlägt schon mal mit umgerechnet 200 Franken zu Buche. Auch sonst wird abkassiert was das Zeug hält. Nach dem Motto: „nichts ist umsonst“, greifen die Norweger dem Besucher tief in die Tasche. Obwohl das Land eigenes Erdöl fördert sind die Treibstoffpreise astronomisch hoch. Ein Liter Diesel kann schon mal zwei Franken kosten. Leider haben die Norweger die Wegelagerer- und Raubrittermentalität ihrer Vorfahren (Wikinger) nicht abgelegt.  Trotz der exorbitanten Spritpreisen wird für die Strassenbenutzung in und um grössere Städte kräftig abkassiert. Es fallen Tunnel-, Brücken- und andere Mautgebühren an. So betragen die zusätzlichen Kosten bei einer Reise mit dem Auto oder Camper durch Norwegen mehrere hundert Franken. Viele Campingplätze sind  schlecht ausgestattet, trotzdem wird auch hier bei den Preisen tüchtig zugelangt und Annehmlichkeiten wie Duschen oder Warmwasser für den Abwasch kosten extra. WLAN ist dafür meistens gratis funktioniert aber oft nur schleppend oder gar nicht. Zum Glück stehen wir fast immer frei und machen einen grossen Bogen ums organisierte Campieren.
Doch wir wollen nicht jammern. Norwegen hat so viel Positives zu bieten, dass wir gerne über gewisse Unzulänglichkeiten hinwegsehen. Wir reisen von Schweden her kommend nach Fredrikstad in Südnorwegen. Das an der Mündung der Glomma gelegene Städtchen bietet uns eine Zeitreise ins 17. Jahrhundert. Sein historischer Kern Gamlebyen, eine vollständig erhaltene Festungsstadt ist von einem breiten Wassergraben und einem Wall, der einst mit 200 Kanonen bestückt war umgeben. In den rosenumrankten Gebäuden, welche die engen autofreien Gassen säumen, buhlen Boutiquen, Kunstgewerbegeschäfte, Cafés und Restaurants um Kundschaft. Nach einem ausgedehnten Spaziergang durch den sehenswerten Ort fahren wir Richtung Oslo weiter. Bei der Einfahrt zur Hauptstadt von Norwegen müssen wir uns in Geduld üben. Im Stau geht es nur im Schritttempo stadteinwärts. Wir wollen insgesamt zwei Tage in Oslo verweilen und suchen uns einen strategisch gut gelegenen Campingplatz, von dem wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Zentrum fahren können. Norwegens Hauptstadt ist königliche Residenz, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum des Landes mit reicher Geschichte. Bei
prächtigstem Wetter geht es per Bus und danach per pedes in die City. Universität, Künstlerszene, Technologiezentren und spektakuläre Architektur machen Oslo zu einer Weltstadt. Dazu trägt ganz bestimmt auch die futuristisch gestaltete Nationaloper „Den Norske Opera & Ballett“ bei. Mit seiner schwungvollen, kantigen Fassade und schneeweisen Marmorflächen erinnert das Bauwerk an einen treibenden Eisberg. Im Hafen liegen alte Segelboote aber auch riesige Kreuzfahrtschiffe vor Anker. Mitten in der Flaniermeile steht die imposante Domkirche aus dem 17. Jahrhundert. Den Stadtkern von Oslo kann man sehr gut zu Fuss erkunden. Die Wege zu den verschiedenen Sehenswürdigkeiten sind relativ kurz. Trotzdem legt man bei einer  intensiven Stadtbesichtigung gut und gerne 15 km pro Tag zurück. Bei den momentan herrschenden Temperaturen eine schweisstreibende Angelegenheit. Entgegen der Meinung von Martha möchte ich den Weg zur legendären Skischanze Holmenkollen zu Fuss gehen. Männer können bekanntlich besser Kartenlesen als Frauen. Mit einem kurzen Blick auf den Stadtplan
erkenne ich, dass die Sprungschanze nur wenige hundert Meter von unserem jetzigen Standort entfernt ist. Dabei übersehe ich leider ein kleines aber wichtiges Detail. Am Punkt wo auf der Karte Holmenkollen steht ist ein kleiner schwarzer Pfeil abgebildet, der zwar die Richtung zur Schanze anzeigt, nicht aber die Distanz. Nachdem wir gut eine Stunde den Wegweisern folgend unterwegs sind bemerke ich schlussendlich mein peinliches Versehen. Zähneknirschend muss ich eingestehen, dass ich mich geirrt habe und der Weg doch etwas weiter ist als gedacht. Zum Glück haben wir am Vorabend eine Tageskarte gekauft, die uns erlaubt öffentliche Verkehrsmittel uneingeschränkt zu nutzen. So marschieren wir zur nächsten Bahnstation und fahren mit dem Zug in knapp einer halbe Stunde zur Schanze hoch. Die Wanderung zu Fuss hätte wohl noch Stunden gedauert. Was lernen wir daraus? „Mann“ sollte öfters den Instinkten der Frau vertrauen. Die alles überragende Skisprungschanze ist das
Wahrzeichen der Stadt. Bereits 1892 errichtet und seither mehrfach umgebaut, zieht die älteste Sprungschanze der Welt jeden Winter Tausende Sportbegeisterte an. Mit einem Lift fahren wir im Innern des Sprungturms hoch bis auf die oberste Plattform. Wenn man bedenkt, dass sich die Athleten von hier in die Tiefe stürzen wird einem ganz mulmig in der Bauchgegend. Der Ausblick auf Oslo und den Oslofjord ist schlichtweg gigantisch. Der anschliessende Besuch des Skimuseums am Fuss der Schanze zeigt auf eindrückliche Art und Weise die Entwicklung der beliebten Bretter seit der Wikingerzeit bis hin zu den heutigen Fieberglasskiern. Nach dem Besuch des Museums geht's, man ahnt es sicher, per Zug wieder in die Innenstadt. Ein Besuch im Vigelandspark ist angesagt. Über 200 Menschen-Skulpturen aus
Bronze, Granit oder Schmiedeeisen säumen die Grünflächen. Säuglinge und Greise, Bodybuilder, Liebende und Kämpfende, Lachende und Weinende, allesamt nackt und daher ohne jeden sozialen Status, zeigen das menschliche Leben in vielen Facetten und halten uns Besuchern einen Spiegel vor. Der Bildhauer Gustav Vigeland arbeitete die letzten 22 Jahre seines Lebens an diesem Figurenzyklus und machte den Park damit zu einem Gesamtkunstwerk. Vor lauter Kunst und Kultur hängt uns der Magen in
den Kniekehlen. Zeit für eine Zwischenverpflegung. Am Hafen holen wir uns bei einem Schnellimbiss Fish & Chips. Frisch gestärkt geht die Besichtigungstour weiter. Ein Besuch des königlichen Schlosses steht auf dem Programm. Von einem Parkhügel überragt das „Kongelige Slott“ die Stadt. Der Empirbau verkörpert in sich den Stil des Königshauses: solide, fast schnörkellos und volksnah. Königlich-eindrucksvolles Flair vermittelt jeden Mittag das Zeremoniell der Wachablösung. Mindestes ein
Museum ist bei einem Oslo Besuch Pflicht. Wir entscheiden uns fürs Kon-Tiki-Museet. Interessiert stehen wir vor Thor Heyerdahls Wasserfahrzeugen. Mit dem Balsafloss „Kon-Tiki“ überquerte der eigenwillige norwegische Anthropologe und Ethnologe 1947 den Pazifik, mit dem Schilfboot „Ra II“ 1970 den Atlantik. Die Ausstellung kann uns aber nicht wirklich begeisten  – wir haben schon wesentlich spannendere Museen besucht. Wir verabschieden uns von Oslo und reisen westwärts nach Kongsberg, besichtigen die grösste Barockkirche Norwegens (3'000 Sitzplätze) mit farbenprächtiger Ausstattung und besuchen in Heddal einen weiteren Sakralbau, der aus dem 12. Jahrhundert stammt. „Gotische Kathedrale in Holz“ wird die Stabkirche wegen ihren beeindruckenden Dimensionen oft genannt. Die steil
gestaffelten Schindeldächer ihrer drei Stockwerke erinnern an fernöstliche Pagoden, Schnitzereien mit grimmigen Fratzen und kämpfenden Tieren umranken die Portale. Das originalgetreu restaurierte Innere versetzt uns in die Welt des Mittelalters. Nebenbei bemerkt: Die Besichtigung fast sämtlicher öffentlicher Bauwerke in Norwegen ist Kostenpflichtig – wen wundert's? Unser nächstes Ziel ist der Telemarkkanal. Eine Reise auf dem historischen Wasserweg quer durch die Provinz Telemark ist
gleichermassen ein Naturerlebnis und Technikabenteuer. Die über 100 Jahre alte Wasserstrasse, einst vor allem zum Zweck des Holztransports zwischen Gebirge und Meer ausgebaut, ist heute eine Touristenattraktion. Drei Dampfschiffsveteranen tuckern mit ihren Gästen täglich eine 105 km lange Strecke von Skien nach Dalen, passieren dabei 18 Schleusen und überwinden über 70 Höhenmeter. Gespannt beobachten wir das aufwendige Schleusen der Schiffe. Alles Handarbeit wie vor 100 Jahren. Mit Muskelkraft werden die schweren Holztore geöffnet resp. wieder geschlossen. Die Weiterreise führt uns wieder ans Meer. Mit Kragerø beginnt die Kette der idyllischen „weissen Städte“ entlang der Schärenküste. Weiss getünchte Häuser, verwinkelte Gassen      und bunte Boote im Hafen
zeichnen den beliebten Ferienort aus. Zur gleichen Kategorie gehört das Städtchen Risør. Der schmucke Badeort besticht durch seine reizvolle Lage auf einer Halbinsel am Skagerrak. Wir besteigen den „Risørflekken“ einen Kalkfelsen von dem wir einen fantastischen Blick auf die Stadt und die vorgelagerten Schärengürtel haben. Wir fahren über das ebenfalls sehenswerte Arendal  nach Mandal, der südlichsten Stadt von Norwegen. Der Ort besticht durch schmucke Bürgerhäuser und Kaufmannshöfe, die vom einstigen Wohlstand durch den Lachsreichtum zeugen. Im angrenzenden Naturpark Sjøsanden gibt es wunderschöne weisse Badesandstrände zum Relaxen. Norwegen besitzt ein gut ausgebautes Strassennetz, zumindest auf den Hauptachsen. Verlässt man diese fährt man meistens auf nicht asphaltierten Pisten, die wir
aber gerne benutzen. Querfeldein fahren wir auf holprigen Pfaden Richtung Lindesnes. Norwegens ältestes Leuchtfeuer, der rot-weisse Leuchtturm aus dem Jahr 1655 markiert den südlichsten Punkt des norwegischen Festlandes. Ein Rundgang auf der Wind umtosten Halbinsel führt uns zu einem Wegweiser der uns anzeigt, dass es noch 2518 km Wegstrecke bis zum Ziel, dem Nordkap, sind. Ganz in der Nähe finden wir einen einsam gelegenen Übernachtungsplatz hoch über dem Meer mit fantastischem Blick auf die Nordsee. Wer Norwegens Küsten bereist weiss die Vorzüge von Autofähren zu schätzen. Um hunderte Kilometer Wegstrecke abzukürzen sind die schwimmenden Transportmittel ein wahrer Segen. Mit einer kleinen Fähre überqueren wir den Fjord und gelangen nach Oanes. Von dort ist es nicht mehr weit zum legendären Preikestolen. Über 600 m ragt der mächtige Fels über dem schmalen hellgrün schimmernden Lysefjord auf. Obgleich keine Strasse hinaufführt und keine Seilbahn sein Platteau
erschliesst, hat sich der Preikestolen zu einer der grössten Touristenattraktionen des Landes entwickelt. Ein sehr steiler zweistündiger Weg führt hinauf zum ersehnten Ziel. Zunächst stellen wir den Camper auf einem riesigen unbefestigten Platz ab und berappen Sage und Schreibe 20 Franken fürs Parkieren. Martha fühlt sich nach ihrer Erkrankung noch nicht fit genug für diese Bergtour und macht es sich in der Zwischenzeit im Camper gemütlich. Derweil begebe ich mich also alleine auf den Weg. Was heisst hier alleine? Dutzende andere Touristen sind vom selben Gedanken beseelt und bewegen sich ebenfalls bergwärts. Einige sehen aber schon bald ein, dass sie sich zuviel zugemutet haben und kehren ermattet um. Schwindelfreiheit, gute Kondition, festes Schuhwerk sowie winddichte Kleidung sind für diese Tour ratsam. Doch die Mühe lohnt sich. Wenn man oben angelangt ist und den grandiosen Ausblick über die Berge und den Lysefjord geniesst, vergisst man schnell, dass man zusammen mit weiteren hundert Wanderern auf dem hochaufragenden Felsen steht. Nach einem kurzen Moment der Erhabenheit geht es in Einerkolonne wieder zurück ins Tal. Obwohl sehr touristisch kann ich diese Tour jedem ans Herz legen. Unsere Reise führt uns weiter an den fantastischen Fjorden der Westküste
Norwegens entlang. Enge unbeleuchtete Tunnel und kurvenreiche Passstrassen wechseln sich mit Fährüberfahrten ab. Wir bewegen uns in einer archaischen Landschaft wo der letzte Schnee erst vor kurzem geschmolzen und der nächste Winter schon bald wieder vor der Türe steht. Überall stürzen von den saftig grünen Berghängen tosende Wasserfälle in die Täler. Dazwischen eingebettet schmucke kleine Orte mit den typisch farbigen Holzhäusern. Die Region eignet sich ausgezeichnet für den
Obstanbau . An den Strassenrändern werden  frisch gepflücktes Obst an zurechtgezimmerten Ständen feilgeboten. Wenn ich das Schild „Moreller“ sehe trete ich instinktiv auf die Bremse und wir holen uns das eine oder andere Körbchen der saftig süssen Kirschen. Auf der Weiterfahrt Richtung Bergen überqueren wir die gewaltige Hardangerbrücke. Sie ist mit 1380 m eine der längsten Hängebrücken der Welt und führt direkt in einen 7 km langen Tunnel, der im Innern sogar mit einem Kreisverkehr-Rondell bestückt ist. Auf der Strecke am Fjord entlang fallen uns als erstes die riesigen Kreuzfahrtschiffe auf, die in Bergen festgemacht haben. Bergen ist das Tor zum Reich der Fjorde. Die zahlreichen Holzhäuser machen den Charme und die Unverwechselbarkeit des Ortes aus. Die meisten dieser alten Gebäude wurden im 19. Jahrhundert erbaut und in den letzten Jahren sorgsam restauriert. Schmale Gassen und mit Kopfsteinpflaster ausgelegte Strassen prägen das Stadtbild. Auf dem Fischmarkt werden täglich frische Delikatessen
aus dem Meer angeboten. Bryggen, das hanseatische Zentrum mit seinen kleinen Boutiquen und Restaurants, ist ein Touristenmagnet. Natürlich streifen wir bei unserer Stadtbesichtigung wieder durch Parks und Gärten und ergötzen uns an den zahlreichen historischen Gebäuden. Auch wenn wir Städte faszinierend finden zieht es uns nach ein oder zwei Tagen zurück in die Natur. Am Hardangerfjord entlang reisen wir Richtung Nørheimsund. Immer wieder unterbrechen wir die Fahrt und bleiben staunend vor gewaltigen Wasserfällen stehen. Wir begeben uns auf den Osafjellet, eine mehrere kilometerlange Passstrasse, die nur teilweise asphaltiert ist und durchqueren Tunnel in denen das Kreuzen mit anderen Fahrzeugen unmöglich ist. So wie es scheint sind wir jedoch alleine unterwegs und müssen nirgends wegen Gegenverkehr zurücksetzen. Das Wetter ist typisch skandinavisch. Sonne, Regen, Nebel sogar ein paar Schneeflocken sind zu sehen. Nach 15 km Wegstrecke haben wir rund 1250 Höhenmeter überwunden. Neben uns türmen sich Schneemauern auf, die höher sind als unser „Gecko“. Irgendwann stehen wir auf einem Plateau die Fahrt endet vor  einem unüberwindbaren
Schneeberg. Der Weg ist hier definitiv zu Ende. Irgendwo muss es noch einen Abzweiger zu einem Gletschersee geben. Wir fahren etwas zurück und eine weitere enge Strasse hoch und gelangen tatsächlich zum besagten See. In absoluter Stille, die nur von pfeifenden Windböen gebrochen wird, geniessen wir das Bild der rauen Landschaft inmitten treibender Wolken und Nebel. Die Sicht wird nun stetig schlechter und es ist Zeit, wieder talwärts zu fahren. Auf dem Weg nach Eidfjord, das ebenfalls von Kreuzfahrtschiffen angelaufen wird, besichtigen wir den Vøringsfossen, der wohl bekannteste Wasserfall von Norwegen. Von der Hardangervidda stürzen die Wasser 182 m donnernd in die Tiefe. Eine Wanderung durch das landschaftlich spektakuläre Tal führt zum Fuss des Wasserfalls. Auf der weiten, einsamen und windgepeitschten Hochebene Hardangervidda breitet sich eine tundraähnliche Landschaft aus. Nur vereinzelt steht da und dort ein einsames kleines Häuschen „Hytte“ etwas verloren in der Gegend. Im tiefer gelegenen Geilo, der Ort heisst wirklich so, unternehmen wir bei sonnigem, aber kühlem Wetter eine Wanderung über Sommerwiesen. Danach geht es noch am selben Tag wieder in die Berge. Übernachtet wird an einem tiefblauen See wo wir tags darauf einen prächtigen Sonnenaufgang
erleben. Unser nächstes Etappenziel ist Flåm. Gemäss unserem Reiseführer soll von diesem Ort eine der spektakulärsten Zugfahrten starten. Der Lonely Planet Traveller kürt die Flåmbahn zur schönsten Zugreise der Welt! Wir glauben dem vollmundigen Versprechen und buchen diesen Kurztrip in die Berge. Im Laufe von knapp einer Stunde bringt uns der Zug von Meereshöhe in Flåm bis zum 867 Meter hoch gelegenen Myrdal. Doch schon bald stellen wir etwas enttäuscht fest, dass wir uns das Geld für die Zugfahrt hätten sparen können. Es gibt nichts zu entdecken was wir nicht schon vorher auf unseren Passfahrten viel eindrucksvoller und schöner bereits gesehen haben. Bei einem wirklich imposanten Wasserfall aber hält der Zug und die Lautsprecheransage kündigt eine Begegnung mit einer in Rot gekleideten Fee an, die durch ihren Gesang Reisende ins Innere des Berges locken soll. Nach ein paar Takten Musik ab Band hören wir dem betörenden Lied der Fee zu und entdecken hoch oben am Wasserfall eine weibliche Gestalt, die sich in spastischen Bewegungen zu den Klängen „verrenkt“. Durchs Teleobjektiv der Kamera erkenne ich, dass es sich bei der elfenhaften Fee um einen Kerl im roten Kostüm handelt. Seit diesem traumatischen Erlebnis glaube ich nicht mehr an Feen. Nach einer Stunde Bahnfahrt geht es die gleiche monotone Strecke wieder den Berg hinunter. Unser Fazit: „glaub keinem Werbeversprechen“ auch wenn es noch so verlockend klingt. Wir grollen nicht und erfreuen uns stattdessen auf dem 47 km langen Aurlandfjellet an der üppigen Natur. Von einer architektonisch schön gestalteten Aussichtsplattform blicken wir in den 600 m tiefer gelegenen Sognefjord. Unser heutiger Überachtungsplatz am höchsten Punkt des Passes auf
rund 1500 Meter bietet eine spektakuläre 360° Rundumsicht. Dank Heizung bleibt es auch in der eiskalten Nacht im Camper kuschelig warm. Am nächsten Tag erwartet uns eine weitere Superlative. Der längste Fjord, der grösste Gletscher, die höchsten Gipfel des Landes – all dies zeichnet die Region Sognefjord aus. Wieder haben wir Wetterglück und erleben diese einzigartige Landschaft in ihrer ganzen Pracht. Eine Passstrasse reiht sich an die nächste und schon fahren wir über
Serpentinen den Gaularfiell hoch. Die Zeit vergeht wie im Fluge und im nu ist es wieder Abend. Weil es nie richtig dunkel wird verliert man schnell das Zeitgefühl. Wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen, Martha werkelt bereits tüchtig in der Küche und bereitet das Abendessen zu. Die einzigen Besucher an unserem Stellplatz sind ein paar Schafe. Ich giesse das salzhaltige Restwasser der Teigwaren auf eine Grünfläche. Schon rennen die Schafe wie von der Tarantel gestochen herbei und lecken das Salz von den Grashalmen ab. Ich gönne ihnen den Schmaus, mir sind die Spaghetti ehrlich gesagt wesentlich lieber. Über den Strynefjell geht es auf einer mit Schlaglöchern durchsetzten Naturstrasse an einsbedeckten Seen vorbei Richtung Geiranger. Auf halbem Weg fahren wir zur kostenpflichtigen Aussichtsplattform Geiranger Skywalk. Der Blick vom Aussichtspunkt in 1500 m Höhe ist überwältigend und lässt uns minutenlang regungslos verweilen. Nur wenige Kilometer vor Geiranger erreichen wir den Aussichtspunkt
Flydalsyuvet. Von einem Felsvorsprung schauen wir auf den Fjord mit einlaufenden Kreuzfahrtschiffen. Geiranger ist das Juwel in der Krone der norwegischen Fjorde. Mit seinen majestätischen, schneebedeckten Berggipfeln, den wilden Wasserfällen, der blühenden Vegetation und dem tiefblauen Wasser. In Geiranger angelangt steigen wir über eine aufwendige Treppenkonstruktion am Wasserfall entlang hinunter ins Städtchen. Obwohl zwei Kreuzfahrtschiffe angelegt haben bricht keine Hektik aus. Ohne Gedränge schlendern wir gemütlich der Hafenpromenade entlang. Die Zeit drängt und die Fahrt geht weiter, denn es sind noch einige endlos scheinenden Passstrassen zu bewältigen. Wer mit dem Camper Norwegen bereist muss Freude am Fahren haben sonst wird die Tour plötzlich zur Tortur. Eines der fahrerischen Sahnehäubchen ist die National Tourist Route Trollstigen. Die Fahrt über die engen Serpentinen ist zweifellos atemberaubend und fast so spektakulär wie die Route über das Stilfser Joch. Von einer
Aussichtsplattform oberhalb des Passes können wir das ganze Kurvengeschlängel einsehen. Nachdem wir den Trollstigen hinter uns gelassen haben reisen wir am Moldefjord entlang nach Ålesund, dem für uns schönsten Städtchen Norwegens. Von Stellplatz mitten im Ort erreichen wir alle Sehenswürdigkeiten zu Fuss. Die wunderschöne Jugendstilarchitektur, die Ålesund auszeichnet, ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Eine grosse Zahl von Türmen und fein gearbeiteten Ornamenten zieren die Häuserfassaden. Nach einem Stadtbrand im Jahr 1904 ist Ålesund komplett neu aufgebaut worden. Ganz untypisch für Norwegen haben ambitionierte Architekten alles aus Stein statt aus Holz bauen lassen. Ein Jahrhundert später ist die Stadt mit seinen prächtigen Gebäuden ein äusserst beliebtes Postkartenmotiv. Um die Stadt aus der Vogelperspektive zu betrachten erklimmen wir die Treppe mit 418 Stufen auf den Aksla gerne, denn der Panoramablick über das auf einer Halbinsel gebaute Ålesund ist sensationell. Obwohl die
Stadt vorwiegend vom Tourismus lebt läuft auch hier alles ruhig und gemächlich ab. Ein besonderes „Schmankerl“ bekommen wir am nächsten Morgen nach dem Aufstehen. Es klopft an „Geckos“ Tür und ein freundlicher Gemeindearbeiter verteilt allen Campern ein frisch gebackenes Brot vom Stadtbäcker. Wir können es kaum fassen, dass man in Norwegen etwas gratis bekommt und fragen sicherheitshalber nach. Darauf drückt uns der nette Mann gleich noch ein zweites Brot in die Hand – einfach grossartig! Früh am Morgen fahren wir mit der Fähre von Vestnes nach Molde. In gut einer Stunde und bei ruhiger See erreichten wir das andere Ufer. Molde empfängt uns mit Sonnenschein und die warmen Temperaturen locken zum Wandern, so fahren wir vom Hafen direkt zum Hausberg Varden hoch. Wir schnüren die Treckingschuhe an die Füsse und begeben uns auf eine zwei Stündige Wanderung. Der Weg führt  über Stock und Stein durch ein Sumpfgebiet. Unsere Blicke schweifen immer wieder auf die im Reiseführer beschriebenen 222 Bergkämme und auf den Moldefjord. Gezählt haben wir die Gipfel nicht, dennoch ist die Aussicht trotz etwas Dunst einfach grossartig. Molde wird auch als Stadt der
Rosen bezeichnet, da hier auf Grund des relativ milden Klimas Rosen und andere Pflanzenarten prächtig gedeihen, die eigentlich weiter südlich ihre Wachstumsgrenze haben. Tatsächlich sehen wir bei der Stadtbesichtigung viele Häuser mit blühenden Rosenbüschen und sogar auf dem Flachdach des Rathauses ist ein Rosengarten angelegt. Die Fahrt geht weiter zur sagenumwobenen Atlantikstrasse. Sie gehört zu den faszinierendsten Autostrecken der Welt – und das trotz einer Länge von nur etwas mehr als acht Kilometern. Bei schönem und klarem Wetter können wir dieser Aussage sicherlich zustimmen. Wir haben diese Strecke mit den acht Brücken, welche die Inseln miteinander verbinden, mehrheitlich durch Nebelschwaden beäugt. Trotzdem machen wir bei den Aussichtspunkten und den Sehenswürdigkeiten jeweils einen Halt um von dieser Landschaftsroute einige Eindrücke wahrzunehmen. Aufgrund der geografischen Lage ist die Strasse den Gezeiten markant ausgesetzt. Aussichtsplattformen wurden deshalb gesichert, um
Unfälle durch die starken Strömungen zu vermeiden. Leider ist das Meer zu aufgewühlt, so dass sich uns keine Robben und auch keine Wale zeigen. Trotzdem ist es ein besonderes Erlebnis, diese faszinierende Strasse zu befahren. Auf der Weiterfahrt erreichen wir Kristiansund und gehen sogleich auf Entdeckungstour. Über vier Inseln erstreckt sich die Stadt bis weit ins Meer hinaus. Sie wird oft von den Schiffen der Hurtigruten angefahren. Gegenwertig findet ein Treffen alter Segelboote und -Schiffe statt. Ein toller Anblick, wenn man die über einhundert aus Holz gebauten Schmuckstücke im Hafen liegen sieht. Um das Bild perfekt zu machen singt ein Männerchor inbrünstig Seemannslieder am Quai. In der Werft werden die Segler überholt und bekommen einen neuen Anstrich – Holzboote wollen gehegt und gepflegt werden. Wir umfahren Trondheim grossräumig, besichtigen in Hell 5000 Jahre alte Felsritzungen und in Værnes eine der ältesten Kirchen Norwegens. Sie stammt aus dem Jahr 1085. Die Kirche, deren Wandstärke stolze 2 Meter misst, ist schlicht und schnörkellos gebaut. Normalerweise ist die Kirche verschlossen. Wir haben jedoch Glück, da die Orgel überholt wird. So dürfen wir den Sakralbau betreten. Die Eleganz des hölzernen Tonnengewölbes ist beeindruckend. Die filigranen Holzarbeiten sind bestechend gut erhalten. Der Besuch dieses Bauwerks ist ein würdiger Abschluss des ersten Teils unserer Norwegenreise. In den kommenden Tagen resp. Wochen werden wir die Küstenstrasse von Steinkier Richtung Bodø fahren. Sie gilt ebenfalls als eine der schönsten Touristenruten weltweit. Bei einer Länge von rund 650 km, auf denen sieben Fähren eingesetzt werden um Fjorde zu überqueren, geht es immer weiter nordwärts. Wir freuen uns riesig auf diesen Abschnitt der Reise bis hoch zu den Lofoten und weiter zum Nordkap.


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